In der algebraischen Zahlentheorie versteht man unter einem Klassenkörper
über einem vorgegebenen algebraischen Zahlkörper
eine Galoissche Erweiterung
, deren Automorphismengruppe
zu einer verallgemeinerten Idealklassengruppe
des Grundkörpers
isomorph ist. Der Isomorphismus
motiviert die Bezeichnung von
als Klassenkörper. Da jede verallgemeinerte Idealklassengruppe
eine abelsche (kommutative) Gruppe ist, sind alle Klassenkörper
von
abelsche Erweiterungen. Diese Verallgemeinerungen der gewöhnlichen Klassengruppe
, also des Quotienten der Gruppe der gebrochenen Ideale von
nach der Untergruppe der Hauptideale, müssen im nachfolgenden Abschnitt genau beschrieben werden, um die Klassenkörper über
präzise definieren zu können.
Eine verallgemeinerte Idealklassengruppe
eines algebraischen Zahlkörpers
mit Ganzheitsring
wird folgendermaßen definiert.
Es sei
ein ganzes Ideal von
, also
mit
, Primidealen
von
und positiven ganzen Exponenten
. (
können als Werte
von nicht-archimedischen Stellen von
aufgefasst werden.) Besitzt
die Signatur
, mit
reellen Einbettungen und
Paaren von konjugiert-komplexen Einbettungen, und daher den Grad
, dann seien
mit
reelle archimedische Stellen von
. Diese Stellen werden zusammengefasst in einem formalen Kongruenzmodul, der auch Erklärungsmodul oder Divisor genannt wird,
mit dem quadratfreien formalen Produkt
, also
.
Die Gruppe der zu
teilerfremden gebrochenen Ideale von
wird mit
bezeichnet. Sie enthält eine Untergruppe
von Hauptidealen, den sogenannten Strahl modulo
von
, dessen Elemente
den folgenden Bedingungen genügen.
, für alle
, und
, für alle
.
Diese Bedingungen werden als formale multiplikative Kongruenz
notiert.
Der Quotient
![{\displaystyle (2)\qquad {\mathcal {C}}_{k}({\mathfrak {m}})={\mathcal {I}}_{k}({\mathfrak {m}})/{\mathcal {H}}_{k}({\mathfrak {m}})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/5b2d7063f6f18dd1f25ee52b3450d48d44b36373)
heißt Strahlklassengruppe modulo
von
und für jede Zwischengruppe
ist der Quotient
![{\displaystyle (3)\qquad {\mathcal {C}}_{k}={\mathcal {I}}_{k}({\mathfrak {m}})/H}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/d726cd96faad58108ba1862dbb50ab822244d04a)
eine verallgemeinerte Idealklassengruppe von
im Sinne von H. Weber.[1]
Für den Beweis des Isomorphie-Satzes
benötigt man noch die mittels der Frobenius-Automorphismen definierte Artin-Abbildung.
Zunächst sei
eine beliebige endliche Galois-Erweiterung algebraischer Zahlkörper mit Ganzheitsringen
und
.
Ist dann
ein Primideal von
, welches über einem Primideal
von
liegt, also
, dann wird die zyklische Galoisgruppe
der zugehörigen Erweiterung von endlichen Restklassenkörpern
durch den lokalen Frobenius-Automorphismus von
mit der Abbildungsvorschrift
erzeugt, also
. Die Inklusion der Trägheitsuntergruppe (inertia subgroup) in die Zerlegungsuntergruppe (decomposition subgroup) von
bewirkt eine exakte Sequenz
und wenn jetzt
unverzweigt bleibt, dann wird
und die Sequenz entartet zu einem Isomorphismus
, der sich als globaler Frobenius-Automorphismus
mit der Kongruenzbedingung
fortsetzt. Die Frobenius-Automorphismen der zu
konjugierten Primideale
mit
sind gegeben durch
. Wenn schließlich
eine abelsche Erweiterung ist, dann sind alle konjugierten Frobenius-Automorphismen identisch und werden mit
bezeichnet.
Für eine abelsche Erweiterung
mit Relativdiskriminante
, außerhalb derer ja alle Primideale unverzweigt sind, braucht daher die zugehörige Artin-Abbildung
aufgrund multiplikativer Fortsetzung nur auf den Primidealen erklärt zu werden durch
, in Termen der globalen Frobenius-Automorphismen. Sie ist ein Epimorphismus mit Kern
, also
.
Die Hauptsätze in der klassischen ideal-theoretischen Sprechweise wurden 1920 von T. Takagi publiziert und können folgendermaßen formuliert werden.[2]
[3]
Zu einem formalen Kongruenzmodul
von
und einer vorgegebenen Zwischengruppe
gibt es genau eine abelsche Erweiterung
, in der höchstens Primideale
verzweigt sind und höchstens reelle archimedische Stellen
komplex werden, die also außerhalb von
unverzweigt ist, sodass
- die Idealnormengruppe
der Erweiterung
mit
übereinstimmt und
- die Galoisgruppe
zur verallgemeinerten Idealklassengruppe
isomorph ist.
Zu einer endlichen abelschen Erweiterung
gibt es (genau) einen minimalen Divisor
von
, den sogenannten (Relativ-)Führer von
, sodass die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind.
- Ein Primideal
von
ist genau dann verzweigt in
, wenn
.
- Eine reelle archimedische Stelle
von
wird genau dann komplex in
, wenn
.
- Für jedes Vielfache
des Führers
, also für jeden Divisor
von
mit
, gibt es eine Zwischengruppe
, sodass
.
Es sei
eine endliche abelsche Erweiterung mit zugehöriger Idealgruppe
, wobei
, und
sei ein Primideal des Grundkörpers
. Ist dann
die kleinste
enthaltende Idealgruppe von
, deren Führer zu
teilerfremd ist, besitzt sie den Index
, und ist
die kleinste Potenz von
, die in
enthalten ist, dann zerfällt
in
in
-te Potenzen verschiedener Primideale
vom Relativgrad
.
Sind
und
abelsche Erweiterungen mit Führern
und
und ist
ein gemeinsames Vielfaches von
und
(zum Beispiel, aber nicht zwingend, das kleinste gemeinsame Vielfache) mit entsprechenden Zwischengruppen
, dann gilt das Antitonie-Prinzip:
genau dann, wenn
.
Die logische Struktur dieser Sätze ist für Unterrichtszwecke von H. Hasse und A. Scholz in besonders vorbildlicher didaktischer und propädeutischer Weise noch weiter aufgegliedert worden.[4]
Die maximale außerhalb von
unverzweigte abelsche Erweiterung
von
entspricht nach dem Anordnungssatz der minimalen Zwischengruppe
, also dem Strahl modulo
von
, und heißt der Strahlklassenkörper modulo
von
mit Galoisgruppe
isomorph zur Strahlklassengruppe modulo
von
. Jede andere außerhalb von einem Teiler
unverzweigte abelsche Erweiterung
von
ist notwendigerweise in
enthalten und heißt der zur Idealnormengruppe
gehörige Klassenkörper von
. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass somit der Strahlklassenkörper
ein ganzes (im Allgemeinen nur partiell aber nicht total geordnetes) Netzwerk von kleineren Strahlklassenkörpern
umfasst, entsprechend dem kompletten Teilerverband
des Kongruenzmoduls
.
Im Sonderfall des Eins-Ideals
als Kongruenzmodul entartet der Strahl modulo
zur Hauptidealgruppe
und der Existenz- und Eindeutigkeitssatz liefert das folgende spezielle Ergebnis. Es existiert genau eine maximale überall unverzweigte abelsche Erweiterung
, deren Galoisgruppe
isomorph zur gewöhnlichen Idealklassengruppe von
ist. Sie heißt Hilbertscher Klassenkörper von
und für sie gilt der spezielle Zerlegungssatz: Ein Primideal
von
ist in
genau dann voll zerlegt, wenn es ein Hauptideal ist. Bei voller Zerlegung ist nämlich die Gruppe
trivial, also auch der Frobenius-Automorphismus
und
liegt im Kern
der Artin-Abbildung.
Nimmt man weiterhin den trivialen Erklärungsmodul
, vergrößert aber die Zwischengruppe
derart, dass
für eine vorgegebene Primzahl
genau der Nicht-
-Anteil von
ist, dann folgt die Existenz genau einer maximalen überall unverzweigten abelschen
-Erweiterung
, deren Galoisgruppe
isomorph zur Sylow
-Untergruppe der Idealklassengruppe von
ist. Sie heißt Hilbertscher
-Klassenkörper von
. Nach dem Anordnungssatz ist
. Durch die iterierte Konstruktion der Folge von höheren
-Klassenkörpern entsteht der
-Klassenkörperturm. Im Gegensatz zu den in diesem Artikel behandelten durchwegs abelschen Klassenkörpern über dem Grundkörper, ist der Turm jedoch ein nicht-abelsches Phänomen.
Schließlich sei noch die Situation betrachtet, dass zwar sämtliche Primideale
von
, also anders ausgedrückt die nicht-archimedischen Stellen von
, in der abelschen Erweiterung
unverzweigt bleiben müssen, dass jedoch die reellen archimedischen Stellen
in Paare von konjugiert-komplexen archimedischen Stellen zerfallen oder, wie man auch sagt, verzweigen dürfen. Unter Zugrundelegung des formalen Divisors
bleibt zwar
wie oben, aber die Untergruppe der Hauptideale
sowie deren Nebenklassen werden durch die Positivitäts-Bedingungen in der formalen multiplikativen Kongruenz im Allgemeinen eingeengt, und es gibt eine eindeutig bestimmte maximale an allen nicht-archimedischen Stellen von
unverzweigte abelsche Erweiterung
, sodass die Galoisgruppe
isomorph zur Gruppe der engeren Idealklassen von
ist. Diese wird in der Literatur auch (etwas irreführend) als engere Klassengruppe bezeichnet, aber die engere Klassenzahl
kann bis zu
mal größer als die gewöhnliche Klassenzahl
sein.
heißt der engere Hilbertsche Klassenkörper von
. Nach dem Anordnungssatz ist
.
Nimmt man für eine positive ganze Zahl
das Hauptideal
als Kongruenzmodul
und den sogenannten Ring modulo
von
,
, als Zwischengruppe
zwischen dem Strahl modulo
und der zu
teilerfremden Idealgruppe von
, dann erhält man als zugehörigen Klassenkörper
den Ringklassenkörper modulo
von
mit Galoisgruppe
isomorph zur Ringklassengruppe modulo
von
. Diese Begriffsbildung erweist sich besonders für (imaginäre und reelle) quadratische Grundkörper
als hilfreich, weil für eine ungerade Primzahl
der
-Ringklassenkörper
modulo
von
nur Normalkörper
mit Diedergruppe der Ordnung
als absoluter Galoisgruppe
enthält aber keine Komposita von
mit zyklischen Zahlkörpern vom Grad
und keine nicht-Galoisschen Zwischenkörper. Der
-Ringklassenkörper ist im
-Strahlklassenkörper modulo
enthalten,
, aber nur letzterer umfasst die genannten Komposita und nicht-Galoisschen Zwischenkörper.
Die Notwendigkeit, für den Vergleich zweier verschiedener abelscher Erweiterungen
und
mit Führern
und
ein gemeinsames Vielfaches
von
und
als Erklärungsmodul finden zu müssen, wird in der modernen Mathematik als veraltet betrachtet, vor allem von französischen Mathematikern. Sie kann nämlich mit Hilfe der durch den französischen Mathematiker C. Chevalley eingeführten eleganteren Begriffe der Idelgruppe
und Idelklassengruppe
anstelle der Idealgruppe
und Idealklassengruppe
eines Zahlkörpers
vermieden werden. Außerdem erlauben diese allgemeineren Begriffe auch die zwanglose Behandlung unendlicher Erweiterungen
, allerdings unter Berücksichtigung der zusätzlichen topologischen Struktur. Die Hauptsätze der Klassenkörpertheorie in der modernen idele-theoretischen Sprechweise lauten dann folgendermaßen.
Zu jeder offenen (und zugleich abgeschlossenen) Zwischengruppe
mit endlichem Index
zwischen der Hauptidelgruppe
und der Idelgruppe
existiert genau eine abelsche Erweiterung
, sodass die Idelnormengruppe
der Erweiterung
mit
übereinstimmt.
Oder äquivalent mit der Idelklassengruppe statt mit der Idelgruppe ausgedrückt:
Zu jeder offenen (und zugleich abgeschlossenen) Untergruppe
mit endlichem Index
gibt es genau eine abelsche Erweiterung
, sodass die Idelklassennormengruppe
der Erweiterung
mit
übereinstimmt.
Für die Miteinbeziehung unendlicher Erweiterungen benötigt man die Zusammenhangskomponente
der Hauptklasse
in der Idelklassengruppe
:
Zu jeder abgeschlossenen Zwischengruppe
(also mit total unzusammenhängendem Quotienten
)
existiert genau eine abelsche Erweiterung
, sodass
.
Zu jeder endlichen abelschen Erweiterung
gibt es einen Isomorphismus der Galoisgruppe
zur Normklassengruppe
der Idelgruppe
beziehungsweise der Idelklassengruppe
der Erweiterung
. Eine nicht-archimedische Stelle, also ein Primideal,
des Grundkörpers
ist genau dann unverzweigt in der Erweiterung
, wenn die lokalen
-adischen Einheiten
in der Idelnormengruppe von
enthalten sind. Eine reelle archimedische Stelle
des Grundkörpers
bleibt genau dann reell in der Erweiterung
, wenn die lokalen
-Einheiten
in der Idelnormengruppe enthalten sind.
Unter Miteinbeziehung unendlicher Erweiterungen kann man den Satz neu formulieren:
Zu jeder beliebigen abelschen Erweiterung
gibt es eine abgeschlossene Zwischengruppe
, sodass
. Eine nicht-archimedische oder reelle archimedische Stelle
des Grundkörpers
bleibt genau dann unverzweigt in der Erweiterung
, wenn
.
Sind
und
endliche abelsche Erweiterungen, dann gilt das Antitonie-Prinzip:
genau dann, wenn
.
Gemäß Umkehrsatz ist eine abelsche Erweiterung
überall unverzweigt, wenn das Produkt aller lokalen Einheiten
in der Idelnormengruppe
von
enthalten ist. Insbesondere muss für die maximale überall unverzweigte abelsche Erweiterung
laut Anordnungssatz die zugehörige Zwischengruppe von Idelen minimal sein, also
, woraus sich eine ganz fundamentale Isomorphie der Galoisgruppe von
,
,
zur (gewöhnlichen) Idealklassengruppe des Grundkörpers
ergibt, weil die kanonische Projektion
den Kern
besitzt und
in
abbildet.
Diese maximale überall unverzweigte abelsche Erweiterung von
wird der Hilbertsche Klassenkörper von k genannt.
L. Kronecker hat 1853 festgestellt, dass jeder absolut abelsche Zahlkörper
, also mit kommutativer Galoisgruppe
über dem rationalen Zahlkörper, in einem Kreisteilungskörper (zyklotomischen Körper) enthalten ist, aber sein Beweis war unvollständig. H. Weber schlug 1886 einen neuen Beweis vor, der aber ebenfalls noch eine Lücke hatte. Erst D. Hilbert gelang 1896 der vollständige Beweis dieses Kronecker-Weber-Theorems.
Im Rahmen der Theorie der Kreiskörper, aufgefasst als Strahlklassenkörper über
kann der Satz relativ leicht bewiesen werden. Es sei also
eine positive ganze Zahl und
eine primitive
-te Einheitswurzel (etwa
), also
der
-te Kreisteilungskörper. Dann ist die Artin-Abbildung
,
, mit
, für Primzahlen
, ein Epimorphismus mit Kern
, wobei der Kongruenzmodul
die einzige reelle archimedische Stelle
von
enthält, weil diese ja für
im total-komplexen zyklotomischen Körper
in Paare von konjugiert-komplexen archimedischen Stellen zerfallen oder, wie man auch sagt, verzweigen muss. Also induziert
einen Isomorphismus
zur primen Restklassengruppe modulo
. Ohne die Stelle
landet man notgedrungen bei einer total-reellen Erweiterung, nämlich beim maximalen reellen Teilkörper
des
-ten Kreisteilungskörpers
und
.
Das Kronecker-Weber-Theorem in Termen der Klassenkörpertheorie lautet also folgendermaßen:
Zu jedem absolut abelschen Zahlkörper
gibt es eine positive ganze Zahl
und eine Idealgruppe
, nämlich die Idealnormengruppe
, sodass
, und nach dem Anordnungssatz muss
sein.
- ↑ Weber, H.: Über Zahlengruppen in algebraischen Körpern. In: Math. Ann. 48, 49, 50. Jahrgang, 1896, S. 433, 83, 1.
- ↑ Takagi, T.: Über eine Theorie des relativ Abel'schen Zahlkörpers. In: Journ. Coll. Science, Tokyo Imp. Univ. 41. Jahrgang, Nr. 9, 1920, S. 1–133.
- ↑ Takagi, T.: Über das Reziprozitätsgesetz in einem beliebigen algebraischen Zahlkörpers. In: Journ. Coll. Science, Tokyo Imp. Univ. 44. Jahrgang, Nr. 5, 1920, S. 1–50.
- ↑ Hasse, H., Scholz, A.: Zur Klassenkörpertheorie auf Takagischer Grundlage. In: Math. Zeitschr. 29. Jahrgang, 1929, S. 60–69.